Rating-Junkie

Spiegel Online: Wie die Politik zum Rating-Junkie wurde

Hamburg, Der Spiegel-David Böcking: – Es gibt noch Ratings, bei denen Griechenland glänzend abschneidet:

Die Bonitätswächter von Euler Hermes Rating bewerten das Land derzeit mit ihrer Bestnote “AA” und bescheinigen ihm “sehr gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen”. An der Seriosität bestehen wenig Zweifel: Euler Hermes ist die erste Rating-Agentur, die offiziell die Ende 2010 verschärften europäischen Regeln für die Branche erfüllt.

Es gibt nur ein Problem: Das gute Rating für Griechenland bezieht sich nicht auf die Kreditwürdigkeit des Staates – sondern auf die von griechischen Unternehmen. Die Bewertung von Staatsanleihen liegt weiterhin fast ausschließlich in der Hand von drei großen Rating-Agenturen aus den USA: Standard & Poor’s (S&P), Moody’s und Fitch.

Deshalb war die Aufregung wieder einmal groß, als S&P zu Beginn der Woche ankündigte, eine geplante Umschuldung griechischer Anleihen als Zahlungsausfall werten zu wollen . Der mühsam erarbeitete Kompromiss zur Beteiligung privater Banken scheint wieder in Frage zu stehen.

Sichtbare Erfolge aber gibt es bislang kaum. Das liegt auch daran, dass die Politik in der Rating-Misere zugleich Täter und Opfer ist.

Opfer sind Europas Politiker, weil auch sie in der Finanzkrise zu Getriebenen der Rating-Agenturen wurden. Seit Jahrzehnten wird mit Einstufungen zwischen der Bestnote “AAA” und dem Pleitesiegel “D” neben der Bonität von Unternehmen oder Finanzprodukten auch die Kreditwürdigkeit von Staaten bewertet.

Der Druck auf die “Big Three” wächst

Zweifel an der Aussagekraft ihrer Urteile gibt es nicht nur wegen des Versagens in der Finanzkrise. Viele Beobachter werfen den Agenturen vor, sie bevorzugten ihre Heimat. “Niemand kann erklären, warum diverse EU-Staaten schlechtere Ratings haben als die hochverschuldeten USA”, sagt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europarlament.

Auf die Kritik haben Regierende in Europa durchaus reagiert. “Da war die Politik verhältnismäßig tatkräftig”, lobt Brigitte Haar, Expertin für Wirtschaftsrecht an der Universität Frankfurt.

Dass der Druck auf US-Agenturen wächst, zeigte sich erst am Montag: Die italienische Börsenaufsicht bestellte Vertreter von S&P ein. Diese sollten erklären, warum sie ein Sparpaket des Landes bereits negativ bewertet hatten, bevor dessen Details überhaupt bekannt waren.

Doch solche Gesten machen leicht vergessen, dass die Politik das Rating-Schlamassel mitverursacht hat. Denn die Agenturen haben niemanden gezwungen ihr Urteil zum Maßstab zu erheben. Sie machen einfach ihren Job. Dennoch wurde der Bezug auf Bonitätsnoten in viele Gesetze übernommen – etwa in die als Basel II bezeichneten EU-Richtlinien zum Eigenkapital von Banken oder die unter dem Namen Solvency II geplante Reform der Versicherungsregulierung. “Die Politik hat die Macht der Rating-Agenturen gesetzlich geschaffen”, kritisiert EU-Parlamentarier Giegold.

Die Vorliebe von Politikern und Investoren für die “Big Three” hat auch praktische Gründe: Sie decken fast 95 Prozent des Marktes ab, ihr Rating-System ist seit Jahrzehnten etabliert und unterscheidet sich nur in Nuancen.

Politiker sind zuversichtlicher. Schon früh in der Finanzkrise kam die Idee einer neuen, europäischen Rating-Agentur auf. Die Unterstützer reichen vom Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin über Ex-Bundespräsident Horst Köhler bis zu Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Selbstverständlich müsste die Agentur aber unabhängig sein, hieß es stets dazu.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *